Kalbskopf gilt hierzulande manchen Menschen als Delikatesse. Ausgelöst und zubereitet zwischen Bretterbuden und Mülltonnen auf dem Warwick-Markt in Durban ist er eine Speise für die Armen. An Exotik mangelt es nicht im Zentrum der südafrikanischen Metropole. Besser, man ist nicht alleine.
Patrick, ein ehemaliger Polizist, erläutert die Besonderheiten des Marktes für traditionelle afrikanische Medizin.
Patrick wiegt den Kopf. Die Frage, ob er Touristen empfehlen würde, alleine über den Warwick-Markt im Herzen von Durban zu gehen, ist heikel. Schließlich bemüht sich die südafrikanische Stadt am indischen Ozean um Touristen, und da ist es nicht förderlich, allzu offen über Kriminalität zu sprechen. Doch der ehemalige Polizist, der viele Jahre lang die Konzessionen der Händler überprüft hat, bliebt bei der Realität. „Beim ersten Besuch würde ich niemandem empfehlen, alleine zu gehen“, sagt er. „Es gibt ein paar Ecken, da kann es gefährlich werden“, räumt er an.
Obst und Gemüse, soweit das Auge reicht. Rund 700 Händler kämpfen um die Gunst der Kunden.
Die kleine Reisegruppe, die der Zulu an diesem Tag führt, darf sich jedenfalls sicher fühlen. Patrick geht voran durch das Gedränge der Kleinhändler, einer seiner Mitarbeiter geht am Schluss der Schlange, damit niemand verloren geht. „Es ist der afrikanischste aller Märkte“, sagt Patrick. Nahe an der Metrostation und dem Busbahnhof gelegen, passieren ihn täglich eine halbe Million Menschen.
In einer dunklen Ecke direkt neben dem Eingang zur Metro hat dieser Mann seine Reparaturwerkstatt für Lederwaren.
Der Gang über das weitläufige Gelände ist etwas für die Abenteurer unter den Reisenden. Die Händler von Musik und Spielen bieten ihre CDs und Kassetten unter dem ohrenbetäubenden Lärm aus billigsten Lautsprechern an. In einer dunklen Ecke, direkt neben dem gelben Eingang zur Metro-Station, flickt ein bärtiger Mann bei kümmerlichem Licht Beutel und Gürtel aus Leder. Unter Brücken, wo auf Hunderten von Metern Kleider für die schwarze Bevölkerung angeboten werden, riecht es nach Hühnermist, Abgasen und Urin.
Der afrikanisches aller Märkte. Der Medizinmarkt vor der Kulisse des modernen Durban.
Ein Rand für einen Apfel, das sind knapp sieben Cent.
„Hier kaufen die Ärmsten der Armen“, sagt Patrick, als die Gruppe auf den Früchtemarkt einbiegt. Die Preise sind für europäische Verhältnisse lächerlich niedrig. Knapp 700 Händler von Obst und Gemüse ringen um die Kunden. Eine Orange oder ein Apfel für umgerechnet sieben Euro-Cent – da ist nicht viel verdient. Mit drei bis fünf Euro geht ein Obsthändler abends nach Hause, manchmal auch mit gar nichts, „und das eine Woche lang“, sagt Patrick. Zwischen 5.000 und 8.000 Händler bieten auf dem verzweigten Gelände täglich ihre Waren an. An ihrem Verdienst hängt die Existenz von 70.000 bis 100.000 Menschen, schätzt Patrick.
Getrocknete Kleintiere, Gefieder, Innereien. Zutaten für traditionelle afrikanische Medizin auf dem Markt von Durban.
Als der Medizinmarkt erreicht wird, beginnt es gruselig zu werden. Getrocknete Schlangenkörper hängen neben Vogel-Kadavern, denen man ein Teil ihrer Innereien belassen hat. Der Kopf eines Kleintieres, so groß wie ein Kaninchen, ist platt gedrückt und teils enthäutet – wie direkt aus einem Hollywood-Schocker entsprungen. Die Tische sind voll mit Pulvern aus Früchten, Baumrinde, Wurzeln und geheimen Zutaten, die am Stand in Mörsern zerdrückt werden.
Ein getrockneter Schlangenkopf. Das Fett einer Python soll helfen, offene Wunden zu heilen
Pythonfett hilft gegen offene Wunden. „Ich jedenfalls glaube dran“, sagt Patrick. Der ehemalige Polizist, ein Zulu, steht an der Brücke über die Warwick-Märkte, am Rande der südafrikanischen Stadt Durban. Die Kisten, Säcke, Ständer, Schirme, Abfalltonnen und Tische scheinen bis zur Skyline der City zu reichen. Hier drängt sich die schwarze Kundschaft. Es ist der Teil des Marktes, an dem die traditionelle Medizin des Landes angeboten wird. „Jeder Medizinmann, jeder Schamane hat sein eigenes Rezept“, sagt Patrick.
Über dem Rost von Einkaufswagen grillen diese Frauen Kopffleisch und Innereien, die der Metzger nebenan liefert.
So klein ihr Leben auch ist, das sie auf dem Markt führen: Als die Stadt Durban 2010 Teile des Geländes abreißen lassen wollte, um eine Art Mall zu bauen, haben sich die Händler mit Händen und Füßen gewehrt. Viele sind wegen des gewaltsamen Protestes zu Haftstrafen verurteilt worden. Doch der Markt blieb stehen. Statt zu Fertigessen von KFC oder McDonalds, greift die Laufkundschaft immer noch zu Kopffleisch und Innereien, die Frauen über dem Rost von Einkaufswagen grillen.
Der abgetrennte Kalbskopf wird zerteilt und sofort für den Grill vorbereitet.
Die Rohware kommt von nebenan, wo zwischen Holzpaletten und Abfallkübeln ein Metzger sein Handwerk verrichtet. Gutgelaunt enthäutet und entbeint er Kuhköpfe, die ihm Lieferanten aus dem Kofferraum ihres Wagens auf die Schlachtbank hieven. Wer sich mit Grausen abdreht, sollte daran denken, dass die Metzger in den Schlachtereien von Paris oder Berlin kaum anders gearbeitet haben, als der Kalbskopf noch keine Delikatesse war.
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